Das Wechselmodell in der Diskussion. Eine Stellungnahme des Väterzentrums Berlin
Eine Anhörung im Deutschen Bundestag zum Wechselmodell als künftiges Leitbild zur Betreuung von Kindern nach Trennungen im Februar 2019 hat eine gesellschaftspolitische und mediale Diskussion in Gang gebracht, an der wir uns beteiligen und hier Stellung nehmen.
Neuerdings wird über das Wechselmodell als Leitbild für ein modernes Familienrecht diskutiert. Das Wechselmodell, so die Initiatoren der Diskussion, soll der Lebenssituation von Eltern und Kindern nach Trennungen in der heutigen Zeit gerechter werden.
Das Wechselmodell (präziser: paritätisches Doppelresidenzmodell) entspricht in der Tat einer zeitgemäßen Rollenauffassung von Frauen und Männern bzw. Müttern und Vätern. Mütter und Väter sind in den letzten Jahrzenten immer mehr beides in einem geworden: „Earner“ und „Carer“ – zu Deutsch: Berufstätige, die Geld für die Familie verdienen, sowie Erzieherinnen bzw. Erzieher ihrer Kinder. Verantwortung für Einkommen und Kinder ist immer mehr zu einer gemeinsamen Verantwortung beider Elternteile geworden. Diese Rollenauffassungen gelten weithin als gesellschaftliches Leitbild, und sie sind immer häufiger auch die Familienrealität.
Trennungen wirken hier sehr häufig im Sinne einer Retraditionalisierung. Das heißt Die Mütter betreuen nach Trennungen oft wieder fast ausschließlich die Kinder und die Väter werden zu „Zahlvätern“ und „Wochenendvätern“. Viele Eltern, Väter wie Mütter, sind mit dieser Retraditionalisierung nicht zufrieden. Für sie ist es ein Rückschritt in überkommene Elternrollen. Zudem entspricht dieses Ergebnis in aller Regel nicht dem vorher gelebten Familien- und Erziehungsalltag.
Diese Entwicklung wird negativ unterstützt durch die professionell in den Trennungsprozessen wirksamen Vorgaben, Strukturen und Akteure wie Jugendamt und Familiengericht.
Deshalb halten wir neue Lösungen für die Übernahme elterlicher Verantwortung für Kinder nach Trennung für sinnvoll und wichtig. Wir vertreten einen lösungsorientierten Ansatz mit dem Leitbild „Gemeinsam getrennt erziehen.“
Väter und Mütter sollten nach Trennungen in der gemeinsamen Verantwortung für die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder bleiben. Hierzu gehört, dass beide Elternteile relevant viel Zeit für die Betreuung ihrer Kinder übernehmen sollten.
Trennungsprozesse sollten professionell begleitet und so organisiert werden, dass das Lebensmodell „Earner/Carer“ für beide Eltern und vor allem für die Kinder erhalten bleibt. Wir plädieren für eine obligatorische verpflichtende Mediation für Eltern in Trennungssituationen, bevor ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wird.
Die Vorstellung vom „Wechselmodell“ („paritätisches Doppelresidenzmodell“ bietet hierfür eine gute Orientierung.
Mindestens so wichtig wie dieses Leitbild ist jedoch eine differenzierte Herangehensweise an jede Trennungssituation und an jedes von Trennung betroffene Kind.
Das Wechselmodell ist nicht die Ideallösung für jede Trennungsfamilie. In Einzelfällen gibt es gravierende Gründe, die dagegensprechen, z. B. bei konkreter Gefährdung des Kindes durch Gewalt oder Missbrauch. Da räumliche Nähe der Haushalte eine Grundvoraussetzung für ein Wechselmodell ist, kommt es in vielen Fällen rein aus praktischen Gründen nicht in Frage, da die Eltern zu weit auseinander wohnen. Nach Zahlen des DJI von 2013 leben 23% der getrennten Eltern mehr als eine Fahrstunde voneinander entfernt.
Zentral für gute Lösungen nach Trennungen ist das Ziel einer friedvollen, kindorientierten Zusammenarbeit beider Elternteile nach Trennungen unter dem Vorzeichen gemeinsam getragener Verantwortung.
Professionelle Systeme und Akteure sollten künftig beide Aspekte – Leitbild Wechselmodell und Richtschnur Kindeswohl viel stärker als bisher zum Ausgangspunkt ihres professionellen Handelns machen.
Entsprechende Fort- und Weiterbildungsarbeit sollten entwickelt und finanziert werden; Ausbildungen und Studiengänge sollten diese Aspekte berücksichtigen.
Der Gesetzgeber und die gesellschaftlichen und politischen Akteure sind gefordert, bessere Voraussetzung für partnerschaftliche Familien und deren Erhalt zu schaffen. Aus Schweden wissen wir z.B., dass eine lange Elternzeit des Vaters eine gute Trennungsprophylaxe darstellt.
Auch Information und Aufklärung tut not. Beispielsweise existiert weithin ein Missverständnis beim Thema Sorgerecht. Das „Gemeinsame Sorgerecht“ wird nicht selten vollkommen falsch verstanden, nämlich als „Geteiltes Sorgerecht“, woraus dann ein (Rechts-) Anspruch auf das Wechselmodell abgeleitet wird. Ein fatales, aber häufiges Missverständnis, dass oft zu schwerwiegenden Konflikten zwischen Vätern und Müttern führt – zulasten der Kinder.
Fazit: Das Wechselmodell sollte durchaus weit stärker als bisher als mögliche Option in den Blick der professionellen Beratungsarbeit sowie der Rechtsprechung genommen werden. Weitaus öfter als bisher gesehen stellt das Wechselmodell eine gute Lösung für gemeinsam ausgeübte Erziehungsverantwortung nach Trennungen der Eltern dar. „Leitbild“ ist hier ein guter Begriff; „Standard“ wäre aus unserer Erfahrung zu weit gegriffen, da recht viele Situationen vor Trennungen ein Wechselmodell nach Trennungen nicht als „gute“ Option im Sinne des Kindeswohls zu bezeichnen wären. Ein Leitbild bietet eine Orientierung und bedeutet keine Festlegung in jedem einzelnen Fall, und schon gar nicht sollte es ein Zwangsmodell sein.
Kinder brauchen nach Trennungen vor allem eines, und davon viel mehr als in vielen Fällen bisher gegeben ist: ein friedvolles und kooperatives Verhältnis ihrer Eltern unabhängig vom Betreuungsmodell. Dafür ist noch viel zu tun!